Nach etwa zwei Jahren von der Planung bis zur Fertigstellung übergaben die Dachdecker in Niedersachsen und Bremen die neue Werkhalle in St. Andreasberg ihrer Bestimmung: Erwachsenenbildung im Handwerk.
St. Andreasberg. „Oh, was haben die denn hier Schönes, das wird aber keine Blechhalle.“ Architekt Rainer Freienberg war schwer beeindruckt, als er 2023 nach St. Andreasberg kam, um sich anzusehen, was für eine Halle er da bauen sollte. Zwei Jahre später, im September 2025, ist er wieder in den Harz gekommen, diesmal zur offiziellen Einweihung der neuen Werkhalle des Ausbildungszentrums der Dachdecker (ABZ) in St. Andreasberg. Im Rahmen eines Festaktes mit allem, was so dazu gehört, haben die Dachdecker aus Niedersachsen und Bremen ihre neue Lehrhalle offiziell ihrer Bestimmung übergeben.
Eingeladen hatte der Landesinnungsverband des Dachdeckerhandwerks Niedersachsen-Bremen (LIV). Gekommen waren neben dem Architekten viele Dachdecker, Jugendbeauftragte des LIV, Verantwortliche des Ausbildungszentrums und des LIV, Partner des Verbandes und viele weitere Gäste, wie Braunlages Bürgermeister Wolfgang Langer, Landrat Dr. Alexander Saipa und Pfarrer André Dittmann. Göttlicher Segen für das ehrbare Handwerk, um das es sich in der Halle fortan drehen wird. Den schwung- und humorvollen Rahmen besorgten die Sängerinnen und Sänger von „Pop Chor’n“, ein illustrer und ziemlich gut aufgelegter Chor aus Goslar. Und weil Liebe nunmal durch den Magen geht, freilich nur die Liebe zum Erlernen handwerklicher Fertigkeiten, hat Hauptorganisatorin Katie Humphrys vom LIV ein üppiges Buffet auffahren lassen.
Klären wir die Sache mit der Blechhalle. Das, so erzählte es Architekt Rainer Freienberg, sei bei Industriehallen Standard, also das Blech. Nicht so bei den Dachdeckern. Hauptwerkstoff für das Bauwerk ist Holz, wie schon bei den anderen Werkhallen, in denen die sogenannten „ÜLU“ stattfinden. Das sind die überbetrieblichen Lerhlingsunterweisungen. Ausbildungsbetriebe können bei der Komplexität des Lernstoffes nicht immer alle Bereiche abbilden. Freienberg lobt den Nachhaltigkeitsansatz in Bezug auf den Baustoff, etwa die dauerhafte Speicherung von CO2. „Die eingesetzte Wärmepumpe und die Photovoltaikanlage machen das Gebäude zu einem Vorbild in Sachen Energieeffizienz und Nachhaltigkeit“, so der Architekt.
Der Begriff Nachhaltigkeit ist eine willkommene Brücke. In der neuen Halle wird er gelebt, und das konsequent weit über die übliche Bedeutung des Wortes hinaus. Es geht um Erwachsenenbildung, Qualifizierung und Fortbildung. Wer sich nicht weiterbildet, bleibt stehen und verliert. So sehen sie das bei den Dachdeckern schon immer. Also bilden sie Meister aus, bieten Lehrgänge, in deren Verlauf aus Helfern auf dem Dach echte Experten, nämlich Dachdeckergesellen werden. Außerdem steht die neue Halle Unternehmen zur Fortbildung zur Verfügung. Das Angebot gilt nicht nur für Dachdeckerinnen und Dachdecker in Niedersachsen-Bremen. Es ist ein offenes Angebot. Gelebte Nachhaltigkeit, die eben nicht nur Umwelt und Klima im Sinn hat, sondern auch Maßnahmen gegen Fachkräfte- und Nachwuchsmangel. Mal ganz vom Bestreben abgesehen, stets auf dem neuesten und innovativsten Stand der Technik zu sein.
Zurück zum Thema Nachhaltigkeit. Standortsicherung gehört auch dazu. Landrat Dr. Alexander Saipa betonte in seinem Grußwort die wirtschaftliche wie gesellschaftliche Bedeutung des LIV und des ABZ in St. Andreasberg. Der Landkreis stehe hinter dem Engagement der Dachdecker, das weit über den Kreis und die Region hinaus wirke, und das, wie könnte es anders sein, ziemlich nachhaltig.
Genau so sah das auch Braunlages Bürgermeister Wolfgang Langer. St. Andreasberg ist ein „Stadtteil“ Braunlages. Langer überschlug mal grob, welche wirtschaftliche Bedeutung das ABZ mit seiner ÜLU und den Meisterkursen für St. Andreasberg hat, wieviele Menschen in verlässlicher Regelmäßigkeit in den Harzort kommen, und das eben nicht nur für ein Wochenende. Und er hob die Strahlkraft des LIV mit Sitz in St. Andreasberg hervor, eine Strahlkraft, die durchaus geeignet sei, die Schmarren zu glätten, die sich St. Andreasberg durch eine etwas ungünstige TV-Reportage über den vermeintlichen Niedergang des Bergstadt eingefangen hatte. Balsam auf die Seelen der Menschen dort im Oberharz.
Dr. Frank Biermann, Hauptgeschäftsführer des LIV, ließ das Bauprojekt und die damit verbundenen Hürden noch einmal revue passieren. Ein echter Kraftakt sei das gewesen, einer, den der LIV nur mit Hilfe der vielen Engagierten in seinen Reihen habe leisten können, mal ganz abgesehen davon, dass keinerlei Fremdmittel in der Halle stecken. Allen voran war es demnach André Hannes, Dachdeckermeister, Ausbilder & Technischer Geschäftsführer des ABZ, der sich maßgeblich eingebracht hat. Aber nicht nur er. Biermann bat zur offiziellen symbolischen Schlüsselübergabe das gesamte LIV-Team zu sich. Der LIV lebe von Teamwork und dem Geist gemeinschaftlichen Schaffens. Nur so seien die Herausforderungen dieser Tage überhaupt zu bewältigen.
Es waren berührende Worte, die der Chef an seine Belegschaft richtete, Worte, die zugleich eine große Portion Stolz deutlich werden ließen. Die Standortsicherung, die Ausweitung des Engagements des LIV und des ABZ, die ständige Weiterentwicklung des Standortes und des Dachdeckerhandwerks – der LIV gestaltet in Einheit mit dem ABZ Zukunft. So sahen das an diesem Tag alle in der Halle.
Pastor André Dittmann stimmte zur Feier des Tages das Lied „Danke“ an, und tatsächlich: Sie sangen alle mit, zumal Dittmann das Lied dem Anlass entsprechend textlich angepasst hatte. Mit dem Segen Gottes für Halle und alle, die dort arbeiten und lernen, endete letztlich der offizielle Teil kurz vor der Schlüsselübergabe. Beeindruckt und zugleich beschwingt, wenn man so will, von der Stimmgewalt und Freude des Chores beflügelt, hatten sich alle das Buffet redlich verdient. 90 Minuten zuhören kann mächtig anstrengend sein.
Apropos: Das erste Wort an die versammelte Handwerkergemeinde und ihre Gäste gehörte dem Landesinnungsmeister Carsten Stelter. Der war erklärtermaßen froh, nicht der Hauptredner zu sein. Dafür durfte er sämtliche Gäste persönlich begrüßen. Unter ihnen war der Präsident des Zentralverbandes des deutschen Dachdeckerhandwerks, Dirk Bollwerk, ein für die Dachdecker in Niedersachsen und Bremen wichtiger wie auch gern gesehener Gast.
Erik Beyen